Kalte Schnauze – Hundeblog

Heimat. Was für ein starkes Wort. Oder doch nicht? Überbewertet oder unterschätzt? Noch nie habe ich mir Gedanken darüber gemacht. Dank Andrea von „Anwolf – unterwegs auch mit Hund“, die zur Blogparade „Heimatorte“ aufgerufen hat, setze ich mich erstmals mit dem Thema ernsthaft auseinander.

Meine Heimatstadt ist Mönchengladbach. Ich bin dort geboren und aufgewachsen. Doch reicht das aus, diesen Ort als Heimat zu bezeichnen? Als meine Heimat?

Wir spotteten, sprachen von MG-Action-Town und meinten das Gegenteil

Als ich das Abitur in der Tasche hatte, wollte ich raus aus der Vitusstadt. Nichts los, spießig, unattraktiv für einen jungen Menschen voller Tatendrang. So dachten damals viele, die mit mir Abitur machten. Die meisten gingen fort, um zu studieren. In Köln, Ingolstadt, Bonn, Mainz, Düsseldorf oder Maastricht. Ich blieb. Vorerst. Und nur so halb. Tagsüber war ich in Düsseldorf. Dort absolvierte ich meine Ausbildung. An den Wochenenden war ich auch abends dort. In Düsseldorf. Mit meinen Freunden, die auswärts studierten und samstags und sonntags immer nach Hause kamen. In das noch immer spießige, unattraktive und langweile Mönchengladbach. Wir spotteten. Sprachen von MG-Action-Town und meinten genau das Gegenteil. Doch komplett lösen konnten wir uns nicht von Mönchengladbach. Aber über die Stadt schimpfen. Das zeichnet die Bürger Gladbachs aus.

Als ich meine Ausbildung in Düsseldorf beendete, wollte ich endlich weg. Diesmal so richtig. Tschüss, MG! Lebe wohl. Gelandet bin ich in einer viel kleineren Stadt als Mönchengladbach: in Iserlohn. Tiefstes Sauerland. Märkischer Kreis, um genau zu sein. Märkisch Kongo sagten die, die dort lebten und ebenfalls auf der Suche nach etwas Großem, Aufregendem waren. Drei Jahre studierte ich dort, in Iserlohn am Seilersee, mit der süßen, kleinen Fußgängerzone und den Roosters als Eishockey-Team in der ersten Liga. Obwohl dort auch nichts los war, fühlte ich mich dort sehr wohl. Das Studium machte mir großen Spaß, ich hatte tolle, neue Freunde gefunden. Trotzdem fuhr ich an den Wochenenden regelmäßig nach Mönchengladbach. Die Stadt, die noch immer langweilig, spießig und unattraktiv war – aber in der meine Eltern lebten. Trotzdem war es für mich unvorstellbar, jemals in MG-Action-Town sesshaft zu werden.

Das Restaurant von Schloss Wickrath.

Dann ging es für ein halbes Jahr nach Madrid – Auslandssemester

Ich freute mich wahnsinnig auf diese Millionenstadt, in der das Leben pulsierte. Vor allem abends in den Cocktail- und Tapa-Bars. Doch Madrid und ich hatten keinen guten Start. Mein Flug verspätete sich um sechs Stunden. Mitten in der Nacht kam ich in dieser fremden Stadt an, übernachtete in einer Jungs-WG auf der Couch, an der jeder der vier Mitbewohner morgens vorbei ging. Privatsphäre gab es nicht. Die ersten vier Wochen lebte ich aus dem Koffer und nahm fünf Kilo ab. Ich war erschlagen von Madrid, der Sprache, dem Überangebot, der Metro, dessen riesige Stationseingänge mich anfangs zu verschlucken drohten. „Boca de Metro“ nennen die Einheimischen diese Eingänge zur Metro-Station. La boca, der Mund. Wie passend. Ich weinte viel am Anfang, weil ich meine Heimat vermisste. Heimat? Das kleine, unaufgeregte, spießige Mönchengladbach?

Doch der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Nach vier Monaten war Madrid nicht mehr furchteinflößend. Ich nahm die spanische Mentalität an. Mit der deutschen kam ich dort eh nicht weit. Ich aß Tapas, Pulpo a la Gallega, Churros con Chocolate, Jamón y queso sowie Tortilla in rauen Mengen. Es gefiel mir zu gut, jeden Abend mit meinen Freunden draußen vor einer Bar zu sitzen und über Gott und die Welt zu quatschen. Ich genoss das besondere Flair von Madrid mit all dem Staub und dem Dreck auf den Straßen, den Museen und den grünen Oasen wie den Parque del Buen Retiro.

Als ich nach sechs Monaten nach Mönchengladbach bzw. Iserlohn zurückkehrte, schmerzte mein Herz. Es tat unfassbar weh. Mir fehlten die Abwechslung, das spanisch leichte Lebensgefühl, die Sonne und die Metro. War Madrid etwa zu meiner Heimat geworden?

Das Studium ging weiter. Ich wurde wieder deutsch. Der Herzschmerz nahm ab. Nach kurzer Zeit ging es für ein dreimonatiges Praktikum bei einem Verlag nach Frankfurt am Main. Die Stadt und ich wurden nie Freunde. Ich habe die Mainmetropole gehasst. Die „Metro“, die dort nicht so hieß, war doof und so gar nicht madrid-like. Mein Auto wurde abgeschleppt und abends hatte ich Angst allein auf den Straßen unterwegs zu sein. Obwohl ich die Arbeit beim Verlag liebte, war mein Highlight jede Woche der Freitag. Wenn ich mich in mein Auto setzen und nach Mönchengladbach fahren konnte. Nichts stimmte mich fröhlicher als das langweilige, spießige MG-Action-Town.

Rückansicht der Kaiser-Friedrich-Halle im Bunten Garten.

Nach drei Jahren war die Zeit in Iserlohn um. Mit dem Bachelor of Science in der Tasche ging ich zurück nach Mönchengladbach – und zu meinen Eltern. Die Jobsuche gestaltete sich als unglaublich schwer. Es war 2008 und die Medien in der Krise. Letzten Endes entschloss ich mich für ein Masterstudium an der Uni Bonn. Wieder eine Wohnung suchen, wieder umziehen, und noch immer auf der Suche nach Heimat. Mittlerweile war der kleine Cabo in mein Leben getapst. Auf dem spanischen Festland lief er mir als Welpe sprichwörtlich über den Weg. Es tat mir weh, ihn jeden Sonntagabend bei meinen Eltern zu lassen, wenn ich zurück nach Bonn fuhr. Doch für ihn war es besser so – und die Zeit absehbar, bis ich ihn wieder jeden Tag um mich haben konnte.

Zurück nach MG

Nach dem Master ging ich wieder zurück nach Mönchengladbach. Ich wollte das. Denn ich war es satt, ständig umzuziehen und nirgendwo Zuhause zu sein. Durch meinen Kalte Schnauze Blog landete ich bei der Lokalzeitung – und blieb. Warum? Weil ich durch die journalistische Tätigkeit bei der Zeitung meine Heimatstadt Mönchengladbach neu kennenlernte. Ich kam an Orte, die ich nicht kannte, lernte Menschen kennen, die sich mit viel Herzblut und Ideenreichtum für ihr Viertel oder ihren Stadtteil einsetzten und das noch immer tun. Der Beruf öffnete mir die Augen für meine Stadt und baute Vorurteile ab. Mein Hund Cabo weckte in mir das Bedürfnis, Wurzeln zu schlagen. Und auf einmal war Mönchengladbach nicht mehr spießig, langweilig oder unattraktiv für mich. Die Stadt ist längst mehr als ein Ort am Niederrhein, der einen erfolgreichen Fußballverein hervorgebracht hat und von der Nähe zu Düsseldorf und den Niederlanden profitiert.

Der Borussia-Park: Das Stadion von Borussia Mönchengladbach.

Es tut sich was. Das ist unübersehbar. Nicht nur für mich, sondern auch für jene, die damals nach dem Abitur gegangen und wieder zurückgekehrt sind. Mönchengladbach hat viel zu bieten: eine facettenreiche Kulturlandschaft, grüne Naherholungsgebiete, großstädtisches Gewusel und ländliche Idylle. Außerdem ist Gladbach ein wichtiger Wirtschafts- sowie innovativer Hochschulstandort. Natürlich ist nicht alles perfekt. Aber sonst hätten wir Einheimischen ja auch nichts mehr zu meckern und die Politik nichts mehr zu tun. Lange Rede, kurzer Sinn: Mönchengladbach, du bist meine Heimat, du bist es schon immer gewesen.

Beller Park im Mönchengladbacher Stadtteil Odenkirchen.

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