Noch mal schnell mit dem Hund Gassi gehen. Aber viel Zeit bleibt nicht. Schließlich stehen noch zig andere Dinge auf der Do-do-Liste, die unbedingt erledigt werden müssen.
STOPP!
Ist euch beim Lesen der ersten drei Sätze etwas aufgefallen? Da sind ziemlich viele Fehler drin.
Nein, keine Rechtschreibfehler, sondern Lebensfehler.
Aber genau diese Fehler begehe ich jeden Tag. Sie haben sich langsam und heimlich wie lästige Parasiten in mein Leben geschlichen und ergreifen Besitz von mir.
- Hektik = mal schnell mit dem Hund Gassi gehe
- Zeitdruck = aber es bleibt nicht viel Zeit
- Do-do-Listen (privat wie beruflich) = zig andere Dinge
- das Müssen = die erledigt werden müssen
Ich führe ein Leben auf der Überholspur. Mir bleibt keine Zeit zum Atmen, geschweige denn zum Durchschnaufen. Ich hetze durch den Alltag. Immer schneller. Ich spule nur noch ab. Mein Ich ist auf Autopilot gestellt.
Ganz schlimm wird es, wenn das schlechte Gewissen zuschlägt. Es im Nacken sitzt und dir schonungslos beibringt, was du alles heute wieder nicht geschafft hast.
Und das was du geschafft hast, ist dir nicht gut genug, weil du ein Perfektionist bist. Was für ein mieser Tag!
Wenn To-dos zu lästigen Parasiten werden
Das Telefon klingelt:
„Frau Brangenberg, wir brauchen unbedingt einen neuen Text von Ihnen. Wann können wir den haben? Es wäre toll, wenn Sie es noch bis heute Nachmittag schaffen. Klar, ist das sehr kurzfristig. Aber Sie machen das schon. Danke. Wiederhören!“
Die Wohnung müsste ich auch dringend putzen. Und die Buchhaltung bettelt ganz laut um Aufmerksamkeit.
Einkaufen müsste ich dringend. Im Kühlschrank laufen sich die Mäuse Blasen.
Eine WhatsApp Nachricht von meiner Mutter: „Silvana, du denkst daran, dass du deiner Großtante versprochen hast, mit ihr am Samstag einkaufen zu gehen!? Ruf sie doch mal an. Die freut sich.“
Eine Freundin schreibt via Facebook: „Ich habe ein Problem mit meinem Computer. Kannst du da mal nach gucken, wenn du Zeit hast!?“
Ich habe schon lange keinen Blogbeitrag mehr geschrieben…
Pling. Wieder neue Mails im Posteingang, die darauf warten, beantwortet zu werden. Ich wollte doch noch die Glühbirnen an meiner Abzugshaube in der Küche auswechseln. Die sind schon seit Wochen kaputt.
Das Handy klingelt.
„Ja, bitte?!“
„Hallo Frau Brangenberg! Sind die Texte schon fertig? Wir hatten ja heute Nachmittag ausgemacht. Aber eigentlich brauchen wir die Texte jetzt schon.“
Eigentlich.
Eigentlich wollte ich gerade mit dem Hund raus. Der war seit heute Früh nicht mehr draußen. Dann gehen wir eben nur ein kurzes Gassi – ohne Apportierspiel.
Cabo ist pflegeleicht. Der wird das verstehen. Hoffentlich…
Irgendwas essen sollte ich auch noch. Mein Magen knurrt. Aber dafür ist jetzt keine Zeit. Später. Vielleicht…
Jeder ist seines Glückes Schmied – abgedroschen, aber wahr
Ich könnte noch viele weitere Beispiele anführen. Versteht mich nicht falsch. Ich will gar nicht jammern. Denn schließlich bin ich verantwortlich für mein Leben. Ich habe es in der Hand. Nicht die anderen.
Ich allein habe zugelassen, dass Hektik, Zeitdruck, To-Do-Listen und Müssen müssen an mir heften wie lästige Kletten.
Gerne würde ich den anderen die Schuld für meine Misere geben. Kann ich aber nicht. Weil ich das Spiel zugelassen und mitgespielt habe.
Darum gehe ich zurück auf LOS und stelle den Autopilot aus. Zwischendurch auch mal das Smartphone.
Ich nehme mir Zeit. Für mich, für Cabo. Ganz bewusst.
Es ist ein Lernprozess, nicht mehr alles müssen zu müssen, was bis dato ein selbst auferlegtes Muss war.
Dazu gehört auch, NEIN zu sagen, anzuecken, sein Ding durchzuziehen – ohne schlechtes Gewissen.
Heute Früh habe ich damit angefangen. Nach drei trüben, wolkenverhangenen, nebligen und regnerischen Wochen, zeigte sich die Sonne. Endlich.
Anstatt an einem Projekt weiterzuarbeiten, bin ich mit Cabo und Kamera in den Wald gegangen. Energie tanken. Fotografieren.
Es hat geklappt. Ganz ohne Reue. Und es hat sich gut angefühlt. Zumal die Sonne jetzt wieder weg ist. Für das Projekt hatte ich später auch noch ausreichend Zeit.
Das mache ich nun öfter. Atmen. Durchschnaufen. Sein.
Sei es beim Gassi mit Cabo, bei dem ich von nun an nicht nur körperlich, sondern auch geistig bei meinem Hund bin und nicht noch am Schreibtisch sitze. Denn ist ein tägliches Geschenk, die Zeit mit meinem Hund verbringen zur dürfen.
Oder sei es beim Löcher in die Luft starren. Oder bei einer Tasse Kaffee, die ich schmecke, rieche, fühle, bewusst genieße. Oder beim Kraulen des weichen Fells meines Spaniers.
Es gibt so viele Möglichkeiten die Häkchen auf der To-do-Liste gegen jene auf der To-BE-Liste einzutauschen.
Ich nehme mir ein Beispiel an Cabo. Der lebt im Hier und Jetzt. Das will ich auch.
Warum kommt diese Erkenntnis erst jetzt?
Manchmal brauche ich einen Schubs. Ich weiß, dass etwas falsch ist, kann es greifen, aber ich habe aber keine Lösung parat.
Diesmal hat mir ein Buch geholfen über das ich gestolpert bin, als ich wieder viel zu schnell unterwegs war. So verrückt es klingt, aber es hat mich auf die richtige Fährte gebracht. Es ist von Shirley Seul und heißt „Das Leben ist keine To-do-Liste“.
Aus dem Klappentext:
„Wann haben Sie sich das letzte Mal ausgeklinkt, Ihren Gedanken nachgehangen und einfach nur Löcher in die Luft geschaut? Zeit zu »verschwenden« ist nicht einfach Luxus – es ist der Notausgang aus einem Leben, das viel zu vollgepackt ist mit Dingen, die erledigt werden müssen, Ansprüchen, die erfüllt werden wollen, und Deadlines, deren Einhaltung Ehrensache ist.
Das Gefühl, nie zu genügen, kann so groß werden, dass wir uns manchmal wie Automaten fühlen, die nur noch funktionieren und sich damit abgefunden haben, ein Häkchen nach dem anderen auf ihre To-do-Listen zu setzen. So haben wir uns unser Leben nicht vorgestellt! Es ist doch keine Strafarbeit! Wohin sind unsere Wünsche und Sehnsüchte verschwunden – und wie können sie reanimiert werden?
Dieses Buch ist die inspirierende Wegbeschreibung zu einem Hintertürchen – ein geheimer Pfad zu dem Leben, das Sie immer führen wollten. Mit Häkchen auf Ihrer To-be-Liste büxen Sie aus und kommen da an, wo das Leben wieder schön ist. Denn es gibt nur ein Muss: die Muße.“
Das Leben ist keine To-do-Liste *kein Affiliate-Link
Was steht auf eurer To-be-Liste?
Kennt ihr das auch? Was macht ihr gegen To-do-Parasiten? Und wie sehen eure To-BE-Listen aus?
Hallo Silvana
Das „Loslassen“ der den Alltag bestimmenden Dinge ist ein sehr schwerer Prozess, bei dem auch schleichende Rückfälle nicht ausgeschlossen sind. Viele merken es erst, wenn es zu spät ist, wenn sie ausgebrannt auf ihr „vergeudetes“ Leben zurück blicken.
Andere steigen aus, hier gibt es eine Menge Straßenkünstler, die ihr Glück scheinbar gefunden haben und einfach einen anderen Lebensstiel pflegen.
Auch ich blicke ab und zu auf meine vergeudete Zeit zurück, in denen ich zwischen der Arbeit gerade mal für 4 – 5 Stunden frei zum Schlafen hatte und mich aus Zeitmangel nur von Fastfood ernährt habe. Diese Zeit ist für mich heute eine Warnung und auch eine Bestätigung, für das was ich heute mache. :-)
Ich finde es gut, dass du dir einfach für dich und Cabo die Zeit nimmst und die Gemeinsamkeit genießen kannst :-)
Liebe Grüße, Klaus
Hey Klaus,
es war mit ein Bedürfnis das Thema anzusprechen und auch aus meiner Perspektive zu schildern. Es ist ein gesellschaftliches Phänomen, dass wir nur noch funktionieren und täglich irgendwelche Dinge von einer Liste abhaken. Sei es beruflich oder privat. Ich weiß nicht, woran das liegt. Aber es hat schon seinen Grund, dass „Aussteiger-Blogs“ und „Lebensratgeber-Blogs“ momentan so erfolgreich sind. Jeder wünscht sich, aus dem Hamsterrad aussteigen zu können. Nur die wenigsten schaffen das auch.
Fürs komplette Aussteigen fühle ich mich noch zu jung. Aber mir täglich kleine Hintertürchen suchen, die mir es erlauben, loszulassen, zu atmen und einfach zu sein, das kann ich und will ich ab jetzt gerne immer. Ob mir das gelingt, ist eine andere Sache. Ich möchte mich einfach täglich weniger ärgern und aufregen, sondern mich vielmehr an den kleinen Dingen im Leben erfreuen.
Mir ist ein Licht aufgegangen, als ich bemerkt habe, dass ich nur noch mit Cabo rausgehe, weil ich muss und nicht weil ich will. Denn die Zeit mit ihm ist endlich. Und die sollte ich genießen.
Du machst das mit Davy genau richtig. Und ich bewundere dich, dass du diesen Schritt gegangen bist und noch immer gehst.
Liebe Grüße nach Portugal!
Silvana
Man muss ja nicht gleich aussteigen und Straßenkünstler werden :-D Aber wie du schon sagtest, man muss es erst erkennen, um sich die kleinen Freiheiten zu nehmen :-) Ich kenne mittlerweile einige, die aus dem Wohnmobil heraus arbeiten. Die brauchen halt nur ein Telefon und einen Computer :-D
Liebe Grüße aus Sagres
Davy und Klaus
Liebe Silvana,
ich hab das Buch auch :-) Shirley ist auch Hundebesitzerin, wusstest du das?
Vielen Dank für die Erinnerung und ich gebe mir Mühe. Cosmo erinnert mich dran, wen ich es wieder mal vergessen haben.
Übrigens sehr schöne Fotos <3
Ganz viele Grüße
Anna
Hi Anna,
ja, das weiß ich, dass Shirley auch einen Hund hat. Ich verfolge Ihren Blog regelmäßig. Und ich hatte sogar mal die Gelegenheit, sie persönlich zu treffen und zu interviewen: http://kalteschnauze-blog.de/das-doppelte-glueck-hund-und-schreiben/
Ich hoffe, dass ich mich selbst an meine Worte halte. Aber darum habe ich auch diesen Blogbeitrag geschrieben. Denn was man einmal schriftlich verfasst hat, bleibt länger im Gedächtnis.
Es freut mich, dass dir die Fotos gefallen. Mir hat’s bei dem Wetter gestern unheimlich viel Spaß gemacht, sie zu schießen.
Viele liebe Grüße zurück!
Silvana
Da muss ich ja gleich mal nachschauen und lesen!
Danke fürs Teilen auf deiner Facebook-Seite, Anna!
wie heißt es so schön, Einsicht ist der erste Schritt zur Besserung.
Ich bin sehr dankbar für jeden Tag den ich einfach genießen kann. Klar hat man gewisse Pflichten, aber wie du sagst, wenn es zu viel wird einfach mal nein sagen oder es auf später verschieben. Toll das du jetzt wieder mehr Zeit mit Cabo verbringst und es genießt und daraus Kraft schöpfst.
LG Vanni mit Sandy
Ja, so sehe ich das auch Sandy. Jetzt gilt es, das Geschriebene auch konsequent umzusetzen und alte Muster auszumerzen. Danke für deinen lieben Kommentar!
Viele Grüße zurück!
Silvana
Toller Text! Und ich kenne das Probleim leider auch sehr gut. Mein Anker sind die Berge. Wenn mir alles zuviel wird, schnappe ich mir meine Hündin und wir gehen „alleine“ hoch – ein idealer Moment um die Gedanken zu ordnen. Am Gipfelkreuz wird mir jedes Mal aufs Neue bewusst, dass das Leben zu kurz ist, um ständig im Hamsterrad der Anderen zu laufen.