Kalte Schnauze – Hundeblog

Ich sitze in meinem roten Flitzer und rase mit knapp 200 Sachen über die Autobahn. Während die Landschaft links und rechts an mir vorbeifliegt, läuft im Radio „Magic“ von Coldplay. Ich liebe diesen Song, drehe ihn lauter und singe mit. Das tut gut.

Heute war einer dieser Tage, der mental alles von mir gefordert hat. Wäre ich ein Hund, würde ich mich ein paar Mal kräftig schütteln, um den Stress loszuwerden. Ich hab’s mal probiert. Funktioniert nur mäßig bis gar nicht. Mir ist danach ganz schwindelig. Da fahre ich lieber aufs Land…

Mittlerweile habe ich die Autobahn verlassen. Ich fahre über eine Landstraße, die mich in sanften Kurven zwischen kargen Feldern meinem Ziel immer näher bringt. Der Radiomoderator meint es gut mit mir und spielt „Sonnentanz“ von Klangkarussell. Ich lasse alle Fensterscheiben meines Autos herunter, um die Wolken aus meinem Kopf zu pusten. Ich atme tief ein und kann ihn schon riechen: den Wald. Würzig, klar, unverbraucht. Endlich! Im Kofferraum streckt Cabo ebenfalls die Nase in die Höhe und schnuppert. Wahrscheinlich weniger Wald, dafür mehr hündische Botschaften.schwalmbruch-8802

Ich parke den roten Flitzer am Ende einer Siedlung. Der Siedlung, von der ich zu Fuß am schnellsten zu meinem Lieblingsort gelange. Schon jetzt merke ich, wie ich deutlich entspannter bin, der Tag allmählich von mir abfällt.

Ich öffne die Kofferraumklappe meines roten Flitzers, damit Cabo aussteigen kann. Sofort nimmt er erste Bodenproben. Ein Westi reklamiert das lautstark hinter einem Zaun. Wir gehen weiter, bevor der kleine seine Stimme ganz verliert.

Ich merke, wie ich automatisch schneller werde. Cabo hat schon längst in einen zügigen Trab gewechselt. Nur noch wenige hundert Meter und wir haben ihn erreicht, meinen Lieblingsort: den Schwalmbruch. Jedes Mal habe ich dieses freudige Kribbeln im Bauch, wenn ich kurz davor bin, diese andere Welt zu betreten. Die Welt, in der ich einen großen Teil meiner Kindheit verbringen durfte.

Endlich haben wir den Bruch erreicht. Und wie immer bin ich überwältig von seiner Schönheit. Die späte Nachmittagssonne hat die vom Winter ausgemergelte Bruchlandschaft in ein sanftes Orange getaucht. Während die Fauna schon um den Frühling buhlt, lässt sich die Flora noch Zeit damit.

Cabo und ich steuern den Aussichtsturm an. Gemeinsam erklimmen wir die Holzstufen und setzen uns oben angekommen auf den Holzboden, genießen den Ausblick auf die Wacholderheide.schwalmbruch-6639

Ich schließe die Augen. Es dauert eine Weile, bis ich nicht mehr die Bilder und Zeilen vom Tag sehe, sondern nur noch höre, was um mich herum passiert. Da ist das Rascheln der verdorrten Blätter, die sich hartnäckig an den Bäumen gehalten und sich dem Winter tapfer widersetzt haben. Links von mir weckt der rätschende Alarmruf des Eichelhähers meine Aufmerksamkeit. Ich öffne die Augen, um zu sehen, was den Rabenvogel derart aufregt. Es ist ein Mäusebussard-Pärchen, das in großen Kreisen über den Schwalmbruch durch die Lüfte gleitet. Cabo hebt kurz den Kopf, beschließt jedoch, sein Bad in der schwachen Märzsonne vorzuführen.

Ich merke, wie sich ein Lächeln in meinem Gesicht breit macht. Und da ist es wieder, dieses Gefühl von Glück. Es kommt ganz automatisch und nimmt Besitz von mir. Erst nehme ich es nur in meinem Bauch wahr, dann in jeder Zelle meines Körpers. Worüber hatte ich mich noch aufgeregt, frage ich mich. Ich habe es vergessen. Es ist nicht mehr wichtig. Es zählt der Moment mit meinem Hund in der Natur. Und plötzlich fällt mir das Atmen ganz leicht.

Wir sitzen noch eine ganze Weile so da. Genießen die Zweisamkeit, die Ruhe und die saubere Luft, die Abendsonne. Dann steigen Cabo und ich vom Aussichtsturm hinunter. Zusammen schlendern wir zum Auto zurück. Ganz entspannt. Bei Cabo sehe ich das an seiner Rute, die locker im Takt seiner Schritte mitschwingt, und an seiner leicht geöffneten Schnauze sowie den hochgezogenen Mundwinkeln. So, als ob er lächeln würde. Dann bleibt er stehen und dreht sich zu mir um. Das machen wir jetzt öfter, sage ich zu ihm. Wie zur Bestätigung ertönt ein kurzer kraftvoller Pfiff, und ein Eisvogel saust an uns vorbei.

Ein letztes Mal sauge ich diesen Moment auf, bevor ich mit Cabo in mein Auto steige und beschließe, die Autobahn auszulassen und über die Landstraßen nach Hause zu fahren. Das Radio schalte ich gar nicht erst ein.schwalmbruch-2411

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